Wenn zweimal 700 Kilo aufeinanderstossen, dann macht das einen gewaltigen Rumms. Die Erde bebt. Im Arena-Kampf der strammen Alpendamen wirbeln Sandwolken auf. Der Atem der Zuschauer stockt.
Und noch viel mehr der der Besitzer. Denn sie haben nicht etwa irgendeine Kuh in den Kampf geschickt, sondern eine ihrer Herzensdamen. Verletzungen gibt es dabei so gut wie nie. Der Kampf entspricht ihrem natürlichen Verhalten – sie kämpfen um Hierarchie in der Herde, die Züchter um Ruhm und Ehre.
Lange wurden die Kuhkämpfe inoffiziell ausgetragen, seit bald hundert Jahren finden sie organisiert und mit festem Regelwerk statt. Aktuell erleben sie ein regelrechtes Revival. Bis zu 14.000 Besucher drängen sich auf den Zuschauerrängen der Kämpfe, die zu geselligen Volksfesten anwachsen und mittlerweile sogar live im Fernsehen übertragen werden.
Trainingslager der hübschen Damen mit ausgeprägter Nackenmuskulatur ist ihre Heimat in den Walliser Bergen. Ihre Umgebung hält sie kräftig und fit. Mancher Besitzer schwört zudem auf regelmässige Joggingeinheiten, auf – ja, das stimmt wirklich – Massagen durch einen professionellen Kuhmasseur, oder, wie etwa Stefan Eyholzer, 34, Züchter aus Leidenschaft, auf absolute Stille, reinste Bergluft und feinste Alpenkräuter.
Der junge Familienvater und Hüttenwirt lebt schon seit seiner Kindheit auf der Bettmeralp in der autofreien Aletsch Arena, einer Bilderbuch-Bergregion auf der Sonnenterrasse hoch über dem von der UNESCO geschützten mächtigen Aletschgletscher. Die Leidenschaft teilt er mit seinem Vater – und mittlerweile auch mit seinen Söhnen. Seine Theorie scheint aufzugehen. Korfu, Manhattan, Magli, Bona, Rubin – sie alle konnte er mit Siegerglocke vom Platz führen.
Bilder: Eringerkühe © Christian Pfammatter
Früher wurde den Kühen gerne mal Schnaps oder Fendant eingeflösst, erzählt uns Stefan Eyholzer. Das war vor seiner Zeit und ist natürlich längst verboten – abgesehen davon, war es natürlich auch recht unangenehm, wenn einem die gedopte Kuh noch während des Kampfes eingeschlafen ist. Regelmässige Dopingkontrollen vor den Wettkämpfen sollen die Tiere heute ganz offiziell vor zu ambitionierten Züchtern, Aufputschmitteln und schmerzstillenden Medikamenten schützen.
In der Alpenregion definiert die Kuh seit jeher sozialen Status. Bei den Eringer Kühen ist das heute noch im Besonderen der Fall. Viele der Besitzer sind inzwischen Nebenerwerbslandwirte, kümmern sich früh morgens vor der Arbeit und nach Feierabend um ihr zeitintensives Hobby. Stefan Eyholzer hat es da praktisch.
Der gelernte Koch betreibt auf der Bettmeralp, in direkter Nachbarschaft zu seinen Kühen, die urige Bättmerhitta – seine zweite Leidenschaft. Hier kommt das rare, besonders zarte und kräftig würzige Eringer Fleisch tatsächlich auch auf den Tisch. Nicht nur die Ringkuhkämpfe erfahren Moment grosses Interesse, erklärt uns der Hüttenwirt, die extensive Tierhaltung trifft voll den Nerv der Zeit und sein aussergewöhnlich hoher Proteingehalt (38g/100g) liegt voll im Fitnesstrend. Ob als Entre-Côte oder Trockenfleisch – ein Hochgenuss, bei Eyholzer in doppeltem Wortsinne, in schönster Alpenkulisse.
Ungläubig beobachten Feriengäste das eindrucksvolle Schauspiel, wenn er seinen Kühen einen Besuch abstattet. Kaum haben sie ihn entdeckt, traben die gedrungenen Damen auf ihren Besitzer zu, umringen ihn, suchen Aufmerksamkeit und Streicheleinheiten. Etwas schräg kommt einem das als Zuschauer schon vor, denn ihr Verhalten passt so gar nicht zu ihrer bulligen, durchaus einschüchternden Erscheinung und der Tatsache, dass es sich bei der Eringer Kuh um ein besonders kampfes-lustiges Exemplar ihrer Gattung handeln soll.
Das liegt jedoch an der Rasse, so Stefan Eyholzer. Eringer Kühe sind besonders intelligent und dem Menschen zugetan. Und wer liebt es nicht, geliebt zu werden. Kuh und Besitzer in jedem Falle – das lässt sich nicht verkennen. Diese besondere Zuneigung zu den Tieren teilt der junge Bergbauer mit vielen Züchterkollegen. Sie zeigt sich an kleinen Gesten, wie stolz sie ihre Tiere in die Arena führen, nach einem Sieg in Jubel ausbrechen, als hätten sie Olympia-Gold gewonnen, aber vor allen Dingen auch in der Art, wie sie ihre Kühe auch nach einer Niederlage tätscheln.
Im Kampf um Hierarchie krönt die Herde nicht selten bereits beim Almauftrieb ihre Königin. Ihre Besitzer beobachten das Schauspiel genau, werden die stärksten Exemplare doch für sie in den Ring steigen. Es gibt fünf Kategorien: Zweijährige Rinder, die noch nicht gekalbt haben, „Erstmelken“, das sind Dreijährige nach einem Kalb, und drei Kategorien nach Gewicht.
Die Einteilung findet am Tag des Wettkampfes statt. Um es in eine möglichst leichte Kategorie zu schaffen, verrät Eyholzer, gibt es auch schon mal etwas weniger Wasser vor dem Wiegen. 50 Liter trinkt eine Kuh am Tag, ein wenig lässt sich damit schon regulieren.
Die Kühe derselben Kategorie betreten dann gemeinsam die Arena. Begleitet von circa fünf bis sechs Treibern, die dafür sorgen, dass immer nur zwei Kühe gegeneinander antreten, und wachsam beobachtet von einer Jury. In den ersten Runden dürfen sich die Kühe ihre Gegner selbst aussuchen. Im Schnitt dauert ein Kampf 30 Sekunden bis eine Minute. Im Schnitt!
Kämpfe haben sich auch schon mal zwei Stunden gezogen. Wendet sich die Kuh ab, ist der Kampf beendet. Das kann natürlich auch vorkommen, ehe der Kampf überhaupt begonnen hat. Drei Anläufe haben die Kämpferinnen, die Runde für sich zu entscheiden. Die sieben Besten der Kategorie kommen weiter. Das Spannendste dabei, findet Stefan Eyholzer, ist das Ungewisse. Man weiss nie was passiert: „Wenn sie kämpfen wollen, kämpfen sie, und wenn nicht, dann eben nicht.“ – Typisch Walliser lassen sich die Eringer nun mal nicht verbiegen.
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Termine der Kämpfe finden sich in diesem PDF (S. 3).
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Quelle: Aletsch Arena
Artikelbild: © VWP Pascal Gertschen