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Wir in Europa haben uns ja daran gewöhnt, dass fast jeder Trend aus den USA zu uns herüberkommt. Doch sollten wir uns fragen: Muss man wirklich jeden Trend auch mitmachen oder gibt es Dinge, die einfach völlig daneben sind?

Derzeit droht – nicht zuletzt durch den Geburtshype rund um den Kardashian-Nachwuchs wie auch das Royal-Baby der Briten – der Trend, den Geburtstag des eigenen Nachwuchses zu einem Mega-Event zu stylen. Muss es aber tatsächlich sein, in einem so bewegenden wie auch intimen Moment jeden Satz, jeden Handgriff und jede Kameraeinstellung vorzuplanen? Oder sollte man die Geburt den Personen überlassen, die als Eltern an der Zeugung beteiligt waren?

Bei der Geburt ist es eigentlich wie beim Fliegen: Raus kommen sie alle – wie sie alle runterkommen. Doch in Zeiten, in denen das Kinderkriegen nicht mehr zur selbstverständlichen Aufgabe eines Paares gehört, geben sich Eventplaner und auch Krankenhäuser sowie Ärzte redliche Mühe, die Geburt eines Kindes als Event aufzuziehen. Manche Kliniken bieten bereits im Vorfeld der Geburt, also der Phase der Schwangerschaft, Rundgänge für die Eltern an, bei denen sie sich mit dem Geburtsumfeld vertraut machen können. Ist das noch sinnvoll und soll Vertrauen schaffen, so gehen findige Vertreter einen Schritt weiter – zu weit? Damit sich die Eltern in Zeiten der Geburtenrückgänge für die Klinik A, B oder C entscheiden und so Geld in die Kassen spülen, wird ein Rahmenprogramm geboten.

Die Geburt – das fantastischste Event des Lebens!

Markig sind die meisten Sprüche, mit denen Paare dazu überzeugt werden, in der Klinik zu entbinden. Pfiffige Veranstalter preisen ihr Leistungsbündel damit, dass den Eltern das Kind quasi aus dem Bauch gesungen wird und man natürlich – für den grossen oder kleinen Kreis – das Geburtsprozedere aus diversen Winkeln mit unterschiedlichen Kameraeinstellungen im bewegten Bild festhalten kann. Als Action- und Eventvideo „Wir erzählen die Geschichte der Geburt“. Stimmungsvoll musikalisch untermalt. Muss es denn wirklich so weit gehen?

Grenzen der Planung

Je mehr man darüber nachdenkt, desto wahrscheinlicher erscheint es einem Betrachter, dass jedes Ereignis „eventiert“ werden muss. Planung ist gut, Optimierung ebenso, aber es muss weiterhin Grenzen geben. Gerade die gebildete – und wohlhabende – Mittelschicht ergeht sich in weitreichendem Planungs-Enthusiasmus. Zentrale Themen dabei: die Hochzeit und die Geburt. Manches Paar beginnt bereits mehr als zwölf Monate vor dem Ja-Wort mit ausufernden Planungen für den Tag der Tage.

Natürlich sind die Hochzeit und die Geburt Ereignisse, die unvergesslich bleiben sollen und wohl auch bleiben. Ist die Hochzeit aber noch planbar, so ist die Geburt doch ein Akt, bei dem das Wort Zufall oder gar Schicksal eine ganz entscheidende Rolle spielt. Die perfekte Geburt qua Planung wird es also ganz sicher nicht geben – es sei denn, man verfügt über unbeschreibliches Vermögen wie besagte Familie Kardashian. Da lässt sich dann auch zur Not die Sekunde der Geburt vorherbestimmen, da ein mehrköpfiges Ärzteteam dafür verantwortlich zeichnet – 24/7 in den letzten Monaten vor der Niederkunft.

Wie soll sich ein Mann bei der Geburt verhalten?

Über mehrere Jahrtausende war die Geburt eines Kindes reine Frauensache. Dass Mann mit dabei sein muss, ist seit geraumer Zeit ungeschriebenes Gesetz – und wenn man als Mann ehrlich ist, muss man auch zugeben, dass dieser Moment unvergesslich bleibt. Besonders dann, wenn man sich auf den wesentlichen Teil konzentriert, nämlich am Kopf der Frau oder Lebenspartnerin zu bleiben und den unteren Sektor den Ärzten oder Hebammen zu überlassen. Ist man nun aber dort, kann es mit dem Event der Geburt nicht klappen, denn wie soll man die Hand der Frau halten, beruhigend auf sie einwirken, entspannt bleiben, damit es sich auf die Partnerin überträgt, und zeitgleich Checklisten via Excel abarbeiten, Fotos schiessen oder gar ein Video drehen, wenn der Kopf des Kindes zum Vorschein kommt? Auch ein werdender Vater steht unter Stress, sorgt sich um Mutter und Kind – aber was wesentlicher ist, er hat auch nur zwei Hände.

Kann man eine Geburt überhaupt als Event zelebrieren?

Nein, nein und nochmals nein. Nicht nur, dass man es nicht kann, weil viel zu viele Risikofaktoren vorliegen, man sollte es auch nicht. Aussagen wie „Wir sorgen dafür, dass Ihre Geburt nicht nur sensationell wird, sondern wir bescheren Ihnen ein unvergessliches Event“ sind reine Illusionsverstärker. Liegt das Kind in der Steisslage, kann die Geburt zur echter Hand- und Schwerstarbeit des Teams werden. Verdreht sich die Nabelschnur, kann ein Kaiserschnitt notwendig werden, und der ist, wie jede OP, weit von einem Happening oder Event entfernt.

Wer sich mental darauf einlässt, seine Geburt zu einem Event werden zu lassen oder machen zu wollen, bei dem wird im Normalfall das Enttäuschungspotenzial gewaltig sein. Die Geburt an sich ist schon Event genug und benötigt keine spezielle Ausleuchtung, keine Deko, keine vorselektierte Musik fürs Kind und ganz sicher kein Videomaterial, welches jede Sekunde in Bildern festhält, die man am Ende des Tages sowieso niemandem zeigen kann, der zartbesaitet ist.

 

Oberstes Bild: © Kiselev- Andrey – Shutterstock.com